Geldangelegenheiten

aufgeschrieben von Torsten Schröder | geboren 1952 | Technischer Zeichner/ Kraftfahrer

Sie waren stets begehrt, sahen völlig anders aus, sie waren größer und weckten sogar unbeschreibliche Gefühle beim Betrachten – die Geldscheine aus dem westlichen Teil Deutschlands. Sie suggerierten Macht, verhießen Abenteuer und die Gewissheit, sich von anderen Leuten abzuheben. Sie fühlten sich auch anders an.

Diese Erfahrung machte ein Kollege von mir, Kipperfahrer aus dem Baukombinat „Altmark“ Stendal. Ein „Kunde“ in Berlin bestellte bei ihm eine Kiesladung. „Was gibste?“ – „Sechzig.“ „Sechzig ist ein bisschen wenig.“ „Achtzig.“ Im Dunkel der Nacht wurde die Fuhre abgekippt, die Geldscheine wechselten ihren Besitzer. Besagter Kollege war beunruhigt, da sich die Scheine eigenartig anfühlten, irgendwie stabiler. Im trüben Fahrerkabinenlicht erschrak er, als er erkannte, dass es sich bei den Scheinen um Westgeld handelte. Und sechzig waren ihm ein bisschen wenig…

Dem Autor sei hier dieser kleine Exkurs gestattet, der nicht unmittelbar das Thema berührt. Der zwar unglaublich scheint, aber verbürgt ist. Die Lieferung an „Kunden“ wurde meist am helllichten Tage absolviert, das war am unauffälligsten. Gerade außerhalb des Stendaler Bereiches und vor allem in Berlin. Besagter Kollege wollte am Nachmittag die Lieferung vornehmen und war auf dem Weg zum Kunden, als er im Rückspiegel einen Streifenwagen der Volkspolizei wahrnahm. Eine Flucht war ohnehin unmöglich, der Polizeiwagen überholte den Kipper und stoppte ihn. Mit einem Arm voller Papiere sprang der Kollege aus dem Fahrerhaus und schleuderte diese auf den Kofferraum des Streifenwagens mit den Worten: „Sucht euch raus, was ihr sehen wollt. Ich seh hier nicht mehr durch.“ Lächelnd schüttelten die Angehörigen der Staatsmacht den Kopf: „Den Kies brauchen wir!“ Mit Polizeieskorte ging die Fahrt in eine Kleingartenanlage im Norden Berlins. Sie brachte 70 Mark. Ost.

Es gab verschiedene Möglichkeiten, um an das „Harte“ zu kommen. Und auch, es wieder dem Geldfluss zurückzuführen. Die Intershops, meist an Flughäfen, in Bahnhöfen größerer Städte, in Edel- beziehungsweisen Interhotels, an Autobahnraststätten gelegen, boten Westwaren. Das Angebot dieser Verkaufseinrichtungen wurde im Laufe der Jahre ständig erweitert. Waren es anfänglich Tabakwaren, Alkoholika, Kosmetika, Kaffee, Schokolade und Reiseproviant, so gab es später Kleidungsstücke, Schmuck, technische Geräte, Werkzeuge, Spielzeug – es wäre müßig, eine vollständige Aufzählung darzulegen. Beunruhigend und unverständlich für mich war die Tatsache, dass es oft einige Artikel, auch des täglichen Bedarfs, nur noch in diesen Intershops zu kaufen gab.

Hin und wieder wurden Gerüchte gestreut, wonach die Intershops abgeschafft werden sollten. Ein anderes Mal hieß es, die Westleute hätten sich über die langen Warteschlangen beschwert und DDR-Bürgern sollte der Zugang zu den Shops verboten werden. Die Gerüchteküche löste meist einen wahren – und sicherlich gewollten – Ansturm auf die Intershops aus. Flossen doch dadurch wahre Ströme an Devisen in die Staatskasse.

Im April 1979 hieß es plötzlich, dass die DDR-Bewohner nur noch mit Forum-Schecks in den Intershops bezahlen könnten, es sei denn, sie würden einen gültigen Reisepass vorzeigen. Das hieß also, dass die Bürger der DDR vor dem Einkauf den Gang zur Staatsbank der DDR antreten mussten, um dort ihre „frei konvertierbare Währung“ in besagte Forum-Schecks umzutauschen. In ihrem Aussehen erinnerten diese eher an Spielgeld.

.

10 Deutsche Mark
100 Mark der DDR

.

10 Deutsche Mark = Westgeld

100 Mark der DDR = Ostgeld

Ein Rücktausch der unbeliebten Schecks war ausgeschlossen. Diese Tatsache ließ viele Bürger nur die benötigten Valuta umtauschen. Keiner wusste, ob sie morgen noch als Zahlungsmittel in den Shops gültig sein würden. Auch für Leute, die sich spezielle Dinge „von drüben“ mitbringen lassen wollten, waren die Forum-Schecks so gut wie wertlos.

Anfang der achtziger Jahre wurde unsere Doppelhaushälfte, die wir zur Miete bewohnten, umfassend saniert. Dem allgemeinen Modetrend folgend, sollten die Wände unseres nun fast 30 Quadratmeter großen Wohnzimmers mit Raufasertapete versehen werden. Zu der Zeit, als wir sie benötigten, bestand natürlich bei Produktion und Lieferung ein Engpass. Raufasertapete war in den einschlägigen Fachhandelsgeschäften – selbst in Berlin – einfach nicht erhältlich. Der Tipp kam schließlich vom Malergesellen: „Schaut doch mal in den Intershop.“

Der nächstgelegene Intershop, ein hellgraues, barackenähnliches Bauwerk, befand sich in Stendal in Bahnhofsnähe, davor ein Parkplatz. Heute bietet das gesamte Gelände Parkplätze für PKW, deren Nutzer mit der Bundesbahn weiter reisen. Auf alle Fälle war der Parkplatz vor dem Shop in Stendal recht zweckmäßig, denn dadurch war mit ziemlicher Sicherheit ersichtlich, ob sich Bekannte aus dem Heimatort im Laden befanden. Die Zahl der PKW – Besitzer ist damals um ein Vielfaches geringer gewesen – fast alle Fahrzeuge des Heimatortes und auch deren Kennzeichen waren uns bekannt.

Das Dienstverhältnis meiner Frau und mein Arbeitsvertrag verboten die Kontaktaufnahme mit Personen aus dem NSW (nichtsozialistische Wirtschaftsgebiete) und dadurch war theoretisch kein Devisenbesitz möglich. Und es bestand die Gefahr, in dieser kleinen Baracke von Bekannten erkannt zu werden. Hätten diese wiederum entsprechende Informationen an einen bestimmten Personenkreis weiter gegeben, wären wir mit Sicherheit zur Abgabe glaubhafter Erklärungen aufgefordert worden, was wir denn dort getrieben hätten. Und darauf legten wir verständlicherweise keinen Wert.

Ein uns bekannter PKW am Intershop in Stendal ließ uns den geplanten Kauf gar nicht erst beginnen. Es ging weiter nach Rathenow. Auch dort der Intershop in der Nähe des Bahnhofs, untergebracht in einem Altbau. Das Umfeld dort war recht unübersichtlich, ebenso drinnen die Verkaufsräume. Wir hatten uns dort noch gar keinen Überblick erschafft, als uns eine bekannte Stimme von hinten fragte: „Na, auch ein paar Anregungen verschaffen?“ Der Tischlermeister aus dem Nachbarort hatte uns entdeckt und versuchte erfolglos, die nur in den Shops erhältliche weiße Plastetüte mit seinen Einkäufen vor uns zu verbergen. Uns war die Lust nach dem Kauf der Tapetenrollen erst einmal vergangen.

Nur wenige Tage später führte mich eine Dienstreise in den Nordosten der Republik. Dies mit einem Fahrzeug, dessen Betriebszugehörigkeit mit großen Buchstaben „BETRIEB DER NVA“ (Nationale Volksarmee“) auf den Türen zu lesen war. Dennoch sollte das Unternehmen Raufasertapetenbeschaffung zum glücklichen Ende geführt werden, denn der Malergeselle drängelte, wollte wohl seinen Plan erfüllen.

In vielen Großstädten wurde auf den wenigen Reklametafeln meist auf die Lage der Intershops hingewiesen, so auch in Neubrandenburg, das an der Fahrstrecke lag. Und Neubrandenburg als Garnisonsstadt verfügte über viele aufmerksame Bürger, wie auch über einen Kommandantendienst der Nationalen Volksarmee, vergleichbar mit den Feldjägern. Weil ein – wenn auch ziviler – Beschäftigter der Nationalen Volksarmee wie ich und Westgeld überhaupt nicht passen konnten, nahm ich sehr weite Fußwege in der Stadt in Kauf. Die Damen im Intershop verpackten die Tapetenrollen in die verräterische weiße Plastiktüte und ich verstaute sie beinahe wie Diebesgut in dem PKW.


Erklärungsbedarf könnte sich noch wegen der schneeweißen Farbe ergeben, denn der DDR-Handel führte nur braun gefärbte Rollen, die erst nach mehrmaligem Latexanstrich weiß wurden. Ein Blick auf die Banderole verriet mir die Länge und Breite einer Rolle und ließ mich während der Weiterfahrt rechnen. Schließlich gefror mir fast das Blut in den Adern: Eine Rolle fehlte noch, das ergaben Kopfrechnen ebenso wie schriftliche Probe.

Das Problem war, dass ich zwar über Westgeld verfügte, aber nicht mehr über Forumschecks. Das Filialnetz der Staatsbank, wo ich den Umtausch hätte vornehmen können, war beileibe nicht so dicht, wie das der Intershops. Von den sehr eingeschränkten Öffnungszeiten mal ganz abgesehen.

Also musste in Greifswald, wo ich den nächsten Intershop wusste, eine besondere Taktik her. Ich schloss von vornherein aus, dass ich Westbürger treffen würde, die für mich das Geschäft hätten abwickeln können. Dafür war die Westgrenze viel zu weit weg. Also war selbstsicheres Auftreten vonnöten, bereits in der Formulierung: „Eine Rolle Raufaser bitte!“ statt der Frage: „Haben Sie Raufasertapete?“ Die Verkäuferin legte die Rolle auf den Tisch, gab den zu zahlenden Betrag in die Kasse ein, der damit registriert war.

Erst jetzt holte ich das Geld hervor, sie wollte meinen Reisepass sehen. „Hab ich nicht.“ – „Wir dürfen nur von Bürgern der BRD und Westberlins das Geld annehmen. Lesen Sie denn keine Zeitung? Sie hätten das Geld vorher tauschen müssen!“ – „Habe ich doch schon. Eins zu fünf – was denn nun noch?“ Sie gab auf, nahm den Schein und gab das Wechselgeld in Forumschecks zurück. Ich betrachtete die Schecks voller Interesse, als hätte ich so etwas nie gesehen.

„Damit können Sie das nächste Mal in unserer Verkaufseinrichtung bezahlen.“ Beim Verlassen des „Spezialgeschäfts mit konvertierbarer Währung als Zahlungsmittel“ (Zitat DDR-Duden) glaube ich – noch heute – die Bemerkung „dämlicher Dorftrottel“ gehört zu haben.

_______________________________________________

Quelle: Das Wissen der Region Band 4