Ein Neulehrer animiert zum Malen
Horst Kobi war Lehrer mit Herz. Jetzt tauchen Zeichnungen seiner Schüler aus dem Neuermark-Lübars der 50er Jahre auf. Als Lehrer hat er auch in Vehlgast gearbeitet. Viele Jahre lebte er in Kamern.
Alle Fotos: Archiv Lothar Schirmer
Im Alter von 99 Jahren ist der engagierte und bis zu seinem Lebensende geistig aktive Lehrer in einem Pflegeheim in Wulkau verstorben. Mit einer Sammlung von über 50 Kinderzeichnungen aus den 50er Jahren, hat er ein Stück Zeitgeschichte in die Gegenwart gerettet.
Von Lothar Schirmer
Neuermark-Lübars | Es war ein Neuanfang für viele Menschen, auch für Horst Kobi, der nach dem Krieg, noch keine 25 Jahre alt, als Grundschullehrer in die kleine Gemeinde Neuermark-Lübars kam. Als einziger Dorfschullehrer hat er in der sogenannten Zubringerschule bis 1960 auch Schüler der umliegenden Orte unterrichtet. Als im vorigen Monat mein Telefon klingelte, war das für mich eine Exkursion in die 50er Jahre. Sein Sohn Mario Kobi hatte im Nachlass seines Vaters eine wohl geordnete Sammlung von Kinderzeichnungen aus diesen Jahren entdeckt. „Zu schade zum Wegwerfen …“. Inzwischen liegen diese von 9- bis 12-Jährigen gezeichneten Zeitdokumente auf meinem Schreibtisch und sie erinnern mich an meine Schulzeit, die 1956 in Klietz begann. Als ich das Paket öffnete war da plötzlich ein Geruch, der mich an mein altes Klassenzimmer erinnerte. Die Holzbank mit dem Fach für das Tintenfass und der Einbuchtung, in der mein Griffelkasten Platz fand.
Kirche an einem Bach von Rita Baierl (12 Jahre)
Namensliste der Schüler
Waltraud Knuth, Dagmar Dierkes,
Bärbel Timm, Eleonore Bauer,
B. Michalik, Rita Bauerl,
Dieter Thürmer, Monika Sigmund,
Hans Wichert, Irene Jädicke,
Ursula Prüfer, Helmut Horst
Manfred Schimmer, Erich Lugert,
B. Pawella, R. Betker,
Doris Zander, Dieter Joensson,
Heidi Kraske, Uta Kaiser,
Ingeborg Beer.
Zeichnungen auf vergilbtem Papier, mit Tusche und Buntstift in einer alten Klemmmappe. Motive, die Kinder damals und auch heute noch zeichnen. Da ist die Familie bei einer Wanderung gezeichnet von Irene Jädicke (10 Jahre). Eine Kirche an einem Bach und der Aufschrift „Friede auf Erden“ von Rita Baierl (12 Jahre) bewertete Lehrer Kobi mit einer „1“. Dieter Joensson und B. Pawelka aus der zweiten Klasse zeichneten Kinder beim Wintersport. Glatteis auf der Straße vor dem HO-Lebensmitteladen und die Menschen die fegen und streuen, brachte B. Pawella mit Tusche auf das Papier. Und immer wieder Märchenmotive von „Väterchen Frost“ über „Kalif Storch“ oder Geschichten, wie von Eleonore Bauer (12 Jahre), eingebettet in die vier Jahreszeiten. Ich glaube nicht, dass die Zeit das Papier vergilbt hat. Die Zeichenblätter haben unterschiedliche Größe und sind sicherlich vom Lehrer aus einer Rolle nicht gebleichtem Papier für seine Schüler ausgeschnitten worden.
Symbol der Weltfestspiele 1951 von Hans Wichert (10 Jahre)
Auf nach Berlin von Monika Sigmund (9 Jahre)
Fahne ohne Ährenkranz
Was mir besonders auffiel waren Zeichnungen zu einem Ereignis vor 71 Jahren. Vom 5. bis 19. August 1951 fanden in Ost-Berlin die Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Organisiert vom Weltbund der Jugend trafen sich junge Menschen aus der ganzen Welt. Nun ja, nicht aus der ganzen Welt. Der Kalte Krieg in all seinen widersinnigen Fassetten verschärfte sich immer mehr. Von der Bundesrepublik wurde die FDJ als eine verfassungsfeindliche Organisation eingestuft und gut 6000 West-FDJler wurden von den Bundesbehörden an der Einreise gehindert und zurück in ihre Ortschaften gebracht.
Von all dem haben Lehrer Kobis Schüler nichts geahnt, als sie gemeinsam das Symbol der Weltfestspiele ausmalten. Mit bunten Zeichnungen hielten sie fest, wie sie sich die Reise zum Treffen vorstellten. Ein Zeltlager am See mit tanzenden Kinder, von Dagmar Dierkes (10 Jahre), oder Monika Sigmund (9 Jahre), die per Schiff und als Wandergruppe die Kinder auf die Reise schickt. Immer dabei die blaue Pionierfahne und die schwarz-rot-goldene Fahne der DDR – ohne Ährenkranz mit Hammer und Sichel. Das verstand ich nicht so recht, bis ich erfahren habe, dass das Symbol erst 1959 offiziell in die Staatsfahne der DDR eingefügt wurde.
Wie aus einer anderen Welt
Die Schulzeit hat uns alle geprägt. Die Nachkriegsgeneration hat einen nie dagewesenen Aufbruch erlebt. Die Butter, abgeschnitten von einem großen Stück, die Milch in der Alu-Kanne und das Fleisch vom Metzger, das es nur einmal in der Woche gab. Die Toilette im Häuschen auf dem Hof oder das Kopfsteinpflaster neben dem sandigen Fußweg waren für uns Dorfkinder damals normal und wurden nicht als Mangel empfunden. Meine Kinder setzten schon andere Maßstäbe und für meine Enkelin sind Erzählungen aus dieser Zeit wie Geschichten aus einer anderen Welt. Aber sie hört interessiert zu und fragt nach. Hinter den Kinderzeichnungen aus den 50er Jahren verbergen sich Geschichten, die es Wert sind, erzählt zu werden. Viele der Schüler werden nicht mehr leben aber vielleicht erinnern sich deren Kinder oder Enkel und melden sich bei mir. Fast alle Zeichnungen mit den Namen der Verfasser finden Sie auf der Internetseite www.klietz-am-see.de. Rufen Sie mich einfach an oder schicken Sie mir eine Mail.